Mehr als die Hälfte der Erwachsenen in europäischen Ländern ist übergewichtig. Das gab die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrem Europäischen Fettleibigkeitsbericht 2022 bekannt. 59 Prozent der Erwachsenen in der europäischen WHO-Region lebten demnach mit Übergewicht oder Fettleibigkeit. Der Anteil bei den Männern ist mit 63 Prozent höher als bei den Frauen mit 54 Prozent. Die WHO zählt neben der EU unter anderem auch die Türkei, Russland, die Ukraine und weitere östlich gelegene Staaten bis hin nach Zentralasien zu ihrer Region Europa.

Bei Jungen im Alter von sieben bis neun Jahren sind laut Bericht 29 Prozent übergewichtig oder fettleibig, bei Mädchen in der Altersgruppe 27 Prozent. Bei Jugendlichen sind es 25 Prozent. Das sind deutlich höhere Werte als bei Kleinkindern im Alter von unter fünf Jahren, dort sind acht Prozent betroffen.

Für die WHO Europa gelten Menschen ab einem Body Mass Index (BMI) von 25 als übergewichtig, ab 30 sprechen die Experten von Fettleibigkeit. Der BMI wird aus Körpergröße und -gewicht berechnet.

WHO: "Epidemische Ausmaße"

Die Raten von Übergewicht und Fettleibigkeit hätten in der gesamten WHO-Region Europa "epidemische Ausmaße" erreicht, schreibt die WHO. Die Tendenz sei bei Erwachsenen wie bei Kindern und Jugendlichen weiter steigend. Keines der 53 Länder dieser Region sei derzeit auf dem Weg, das Ziel zu erreichen, den Anstieg bei der Fettleibigkeit bis 2025 zu stoppen. Die Verbreitung unter Erwachsenen sei nur auf den amerikanischen Kontinenten noch höher.

Deutschland lag bei den Erwachsenen leicht unter dem Durchschnitt. Dafür gab es deutliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Der Wert für Frauen lag unter 50, der für Männer bei 65 Prozent. Die europäischen Vergleichswerte zu den Zahlen stammen aus dem Jahr 2016. Einzelne Daten wiesen seitdem allesamt auf weitere Zuwächse hin, vor allem in Corona-Zeiten, sagte der WHO-Experte Ivo Rakovac.

Übergewichtige und Fettleibige sind laut WHO überproportional häufig von schweren gesundheitlichen Folgen einer Corona-Infektion betroffen gewesen. Die Betroffenen hätten ein höheres Risiko für Krankenhauseinlieferungen und Todesfälle gezeigt.

Zahlreiche Risiken für die Gesundheit

Vorläufige Daten deuten laut WHO zudem darauf hin, dass die Fettleibigkeit unter Kindern und Jugendlichen aufgrund der Corona-Pandemie steigt. Das liegt unter anderem an einem veränderten Lebensmittelkonsum und mangelnder körperlicher Aktivität in Lockdown- und Quarantäne-Zeiten.

Übergewicht und Fettleibigkeit zählen dem Bericht zufolge zu den Hauptursachen für Behinderungen und Todesfälle in der WHO-Region. Fettleibigkeit steht demnach unter anderem mit 13 verschiedenen Krebsformen im Zusammenhang. Sie könne verschiedene gesundheitliche Folgen mit sich bringen, darunter neben Krebs unter anderem auch chronische Atemwegserkrankungen wie Asthma, Schlaganfälle und andere Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Leber- und Nierenbeschwerden, aber auch mentale Probleme und Rückenschmerzen.

Forderungen nach politischem Handeln

Die WHO rief die Politik zum Handeln auf. So seien eine Besteuerung von gezuckerten Getränken und Subventionen für gesunde Lebensmittel sinnvoll. Außerdem solle die Vermarktung ungesunder Produkte bei Kindern eingeschränkt werden. "Politische Maßnahmen, die bei der gesamten Bevölkerung auf umweltbedingte und wirtschaftliche Faktoren für schlechte Ernährung abzielen, sind wahrscheinlich am effektivsten bei der Eindämmung der Fettleibigkeitsepidemie", teilte die WHO mit.

Die Verbraucherorganisation Foodwatch warf der Politik angesichts des WHO-Berichts vor, nicht die nötigen Konsequenzen für die Fastfood-Industrie beschlossen zu haben. "Auch in Deutschland wurde viel zu lange auf einen Kuschelkurs mit der Industrie gesetzt, statt den Dickmachern einen Riegel vorzuschieben", teilte Foodwatch-Geschäftsführer Chris Methmann mit. Unter anderem müssten Kindern umfassend vor Werbung für Junkfood geschützt werden. Die Bundesregierung müsse auch die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse streichen und stattdessen die Hersteller von Zuckergetränken zur Kasse bitten.